Fangsong im Taiji- das ist weit mehr als ein bisschen entspannen, es ist eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Grundlage überhaupt:
Letztendlich unterstützt bei "richtigem" Taiji ja die Innere Kraft die Muskelkraft -
und das ist keinesfalls nur eine Metapher, sondern ein tatsächliches Zusammenspiel auf körperlicher (Yang) UND innerer/energetischer (Yin) Ebene-
das allerdings nicht so ganz von selbst ensteht und entsprechend Schritt für Schritt aufgebaut und entwickelt werden muß.
Generell entsteht explosive körperlich-muskuläre, schwungvoll gerichtete Kraft (Li/ Muskelkraft)- z.B. ein
Fauststoß- aus dem Fangsong, der Kraftübertragung vom Fuß durch den Körper mit dem unteren Rumpfbereich (Yao) als Steuerelement und der beweglichen Wirbelsäule und faltbaren, flexiblen
Brust;
wodurch der von unten kommende Impuls vom verwurzelten Fuß durch Mitte, Brust und Schultern bis in die Fingerspitzen (oder wo auch immer man die Kraft braucht) gelangen kann.
Aus extremem Yin= Gelöstheit, Gesunkenheit, Entspannung) entsteht höchstes Yang (explosivste Kraft bzw. Fajin).
Diese Öffnungen, bzw. dieser Mechanismus ist aber auch für die gezielte/geschickte (im Sinne von Fa=
schicken, aber auch Methode) Leitung der gerichteten Energie (Jin) wichtig, denn ohne körperliche Durchlässigkeit und "geöffnete" Gelenke würde die Kraft (Jin / energetische) hängen
bleiben.
(vgl. Qi ist das Wasser im Teich, Jin der gerichtete Strom, der durch den
Kanal fließt).
Nun muß man- und das ist einer der schwierigsten Punkte- diese innere/ energetische Kraft erst einmal
entwickeln- genau, wie man die für die körperlichen Bewegungen und Struktur/Haltung erforderlichen (Tiefen)Muskeln nach und nach aufbauen muß.
Laut GM Chen Zhenglei- und meine bisherigen Erfahrungen bestätigen das- ist es nun so, daß man zunächst beim Qi anfängt, von dem genug da sein muß, um nicht nur das Dantian, sondern auch den Körper zu füllen. (siehe Hintergrundwissen Prinzipien/ Prinzipien der Körperhalung)
Hier hilft uns eine Bezeichnung des alten Schriftzeichens für Qi, das ein Reisfeld darstellt, auf das Regen fällt. (= das Wasser vom Reisfeld nährt den Reis, verdunstet, steigt als Dampf auf, wird zur Wolke und fällt als Regen wieder herab= natürlicher Kreislauf von Yin und Yang)
Allerdings muß der Übende erst genügend "Fangsong" auf körperlicher Ebene (Entspannung - ein chin. Schriftzeichen bedeutet auch bezeichnenderweise sowas wie "Befreiung") entwickeln, um Spannungen und Druck in der Brust loszulassen, damit das Qi auch ins Dantian hinunterfließen kann (Qi chen Dantian/ "chen" ist ein Verb und bedeutet soviel wie sinken, verwurzeln, andere Schreibweise als Chen von Chenstil).
(Auf einen Teich bezogen heißt das, es muß erst mal genug regnen und genug Wasser den Berg runterfließen- und auch der Grundwasserpegel hoch genug sein-, damit der Teich voll genug wird, damit von ihm aus dann Wasser in Kanäle weiterfließen kann....)
Außerdem ist nicht nur die Verwurzelung „chen“ in die Erde (Yin- Verbindung) wichtig (hierfür wiederum auch
der gelöste untere Rücken, wodurch das Steißbein sinken und die Hüfte geöffnet werden kann), sondern auch "ding", die Aufrichtung und Anbindung des Scheitels nach oben (Yang)- was bedeutet, daß
der Kopf aufrecht getragen werden muß und speziell der Durchgang vom Schädel in die HWS offen sein muß.
Das wird gerne vernachlässigt- es ist dann aber so, als wäre eine Batterie nur am Minuspol angeschlossen- da tut sich nicht viel in Sachen Elektrizität...
Dazu gehört dann u.a. auch, allmählich durch stetes Fangsong-Üben von der Brustatmung zur Bauchatmung zu
gelangen, was keinesfalls nur durch Bauch-Herausdrücken geschieht, sondern durch korrektes Fangsong, ein entspanntes Zwerchfell und eine gerade, ausgedehnte Wirbelsäule.
Erst mit der Zeit entwickelt sich diese Fähigkeit und man kann danach irgendwann auch die Umkehratmung üben, (mit der man nicht nur einen energetischen Schutzschild generieren kann, sondern) die schließlich nötig ist, um die reichlich gesammelte Energie (Qi) im Dantian soweit zu komprimieren, daß man sie schließlich mit Hilfe von Mingmen und Daimai wie eine Kanonenkugel als Fajin während Fauststößen, Tritten, Ellbogen- und Schultertechniken oder auf extrem hohem Level sogar einfache Berührung auszuschicken.
Neben der Fähigkeit, Brust und WS flexibel auszudehnen und zu öffnen und zu schließen, muß auch eine entsprechende Muskulatur entwickelt werden, um sich nicht innerlich selbst beim Ausstoß von Fajin zu schädigen.
Vielleicht sollte noch erwähnt werden, daß zwischen dem Sammeln und Vermehren
des Qi natürlich noch das Entwickeln und Stärken/ Vergrößern der entsprechenden Kanäle im Körper erforderlich ist, damit das Qi auch überall hin gelangen kann
(der Körper keinen Schaden nimmt) und schließlich als Jin die Bewegungen begleitet und später steuert.
Selbstredend, daß sowohl die
körperliche, als auch die innere Entwicklung Hand in Hand stattfinden müssen und /oder sich Schritt für Schritt abwechseln.
(also vergleichbar vom dünnen Rinnsal, das nur durch Pumpen weiter
gelangen kann, welches bei stetem, mehr werdenden Wasserdurchfluß allmählich zu einem reißenden Strom wird- und einen entsprechendes Flußbett oder einen Kanal erfordert, der auch breit genug ist,
damit die strömenden Wassermassen ans Ziel gelangen und nicht nur irgendwo alles überfluten!)
Ein idealer Übungsschlüssel sind neben Zhan Zhuang hierfür die Seidenweberübungen, die nicht nur helfen, die im Zhan Zhuang („Stehen wie ein Baum“) entwickeltete Körperstruktur und Fangsong durch das stete Üben der Bewegungsroutine auch in Bewegung umzusetzen (später auch in jeder Bewegung der Form!), sondern auch das Qi aus dem Dantian bis in die äußersten Extremitäten zu leiten (yang) und anschließend zurückfließen zu lassen oder es zurückzuziehen ins Dantian (yin).
Erst machen wir größere Bewegungen und öffnen und entwickeln unsere Kanäle und die Bewegung lenkt das Qi;
später werden die Bewegungen feiner und werden durch das fließende Jin von innen her gesteuert....
Es sei noch erwähnt, daß sich auch der Atem durch fleissiges Üben zunächst natürlich anpaßt, yang = ausatmen, yin= einatmen und schließlich im höher entwickelten Zustand die bewußte (Umkehr-)Atmung eingesetzt wird, um Fajin auszusenden.
(auch wenn der Übende möglicherweise von der optischen Qualität der körperlichen Bewegung schon längst vorher eine hohe Bewegungsqualität mit äußerlich beeindruckenden Fauststößen, Tritten und Co. entwickelt hat.)
(vgl künstliche Bewässerung mit Pumpen bei Trockenheit, während in regenreichen Zeiten das Wasser von selbst und reichlich fließt und allmählich das Bach-/Flußbett von selbst weiter ausformt.)
Umkehratmung und Übungen der inneren Alchimie sollten nur unter Anleitung eines erfahrenen Lehrmeisters geübt werden, wenn alle erforderlichen körperlichen Voraussetzungen entwickelt wurden, da man sonst Fehler machen und seiner Gesundheit Schaden zufügen könnte!
Deswegen ist eben auch die Qualität der äußeren Bewegungen unter Berücksichtigung von Struktur, Fangsong und sonstigen Prinzipien so wichtig und auch und besonders das Üben der Form, weil sonst die körperlichen Voraussetzungen für die Entwicklung und Leitung innerer Kraft nur schwer zu erreichen sind.
Speziell das Falten der Brust (wofür laut GM Chen Zhenglei zunächst die grundlegende Übung der Ausdehnung der Wirbelsäule durch Ding und Absinken-Lassen des Steißbeins erforderlich ist = Zhan Zhuang üben) und die Richtungsänderungen/ Drehungen aus dem unteren Rumpf (Dantian Rotationen) kommen ja in fast jeder Bewegung vor-
diese stärken dann natürlich auch die entsprechende (Tiefen-)Muskulatur, welche übrigens in anderen (äußeren) kämpferischen Anwendungen anderer Kampfsportarten so gut wie gar nicht berücksichtigt werden und sich auch im Taji kaum nur durch das Training von Kampfanwendungen entwickeln lassen...
(Das Flußbett/der Kanal sollte gut ausgebaut und frei von Blockaden sein, damit der Strom gut durchfließen kann: Wenn man dann aus dem vollen Teich einen Stausee macht und plötzlich die Schleusen öffnet, schießt das Wasser mit einer gewaltigen Kraft durch die Kanäle- oder denkt beim Fajin einfach an eine Pistolen- oder Kanonenkugel, die viel mehr Effekt erreicht, als würde man mit der Pistole einfach nur jemanden rammen....)
Hinzuzufügen ist noch, daß das, was man anfangs mittels Focussierung/ Konzentration (Yi) noch mühsam üben muß, nach und nach so verinnerlicht wird, daß es natürlich und automatisch geschieht, ohne daß man großartig darüber nachdenken müsste!
("the mind moves he Qi- the Qi moves the body")
Ein angenehmer Nebeneffekt ist außerdem, daß durch das Unterstützen äußerer Kraft durch Innere (also reichlich Qi/ Jin) und Präzision der viel geübten Bewegungen Taiji tatsächlich immer "leichter" und anstrengungsloser wird.
Das Qi/ Jin füllt bzw. "pumpt" einen von innen her richtiggehend auf und man hat der Eindruck, wesentlich weniger Muskelkraft zum Halten etc. aufwenden zu müssen, insbesondere, wenn die Bewegungen von innen heraus durch den Energiefluß quasi "geführt" werden (s.o.)
Zugleich werden die Bewegungen dadurch und durch strukturelle Präzision in der Ausführung und Fangsong immer reibungsloser und erfordern dadurch natürlich auch weniger Energieaufwand = Anstrengung auf physischer (physikalischer ;-) ) Ebene.
Man hat also auch mehr Kraft und Ausdauer zur Verfügung.
Autorin & Copyright: Alfie Schütz
Videolink von GM Chen Zhenglei:
Hier eine Abhandlung zum Thema, welche ich im Frühjahr 2013 anlässlich meiner Prüfungen zum 5. Dan (Duan) verfasst habe. (Wegen der Begrenzung von 2000 Worten ein bisschen "gestrafft", die etwas ausführlichere Erstversion folgt demnächst)
Fangsong 放松 im Taiji 太极-
Bedeutung & Hintergrund unter (besonderer) Berücksichtigung des Yin-Yang Prinzips
Autorin: Almuth (Alfie) Evelyn Schütz, 2013
If someone understands the true meaning of Fangsong in Taijiquan,
he will become invincible (1)
Wie passen kämpferische Unbesiegbarkeit und Entspannung zusammen?
Taijiquan hat als innere Kampfkunst effektiv die Kunst von Angriff und Verteidigung kultiviert und ist zugleich wegen seines Gesundheitswerts beliebt:
Fließend-weiche Bewegungen trainieren sanft und verschleißarm den gesamten Körper, schulen Gleichgewicht und Motorik. Die oft meditativ-langsame Ausführung, kombiniert mit natürlich-tiefer Atmung, verhilft zu innerer Ruhe und Gelassenheit.
Der Begriff Fangsong, grob übersetzt als Entspannung, wird daher vorwiegend in Verbindung gebracht mit Taiji als Gesundheitssport. Die tatsächliche Bedeutung und Tragweite des Fangsong im Taijiquan, bzw. Taiji selbst als Kampfkunst wird oft verkannt – denn ohne Fangsong wäre Taiji weder als (innere) Kampfkunst, noch für gesundheitlichen Nutzen wirklich einsetzbar.
„bewegt man sich, dann gibt es nichts, was sich nicht bewegt,
in der Ruhe ist alles still und ruhig
oben soll am Scheitelpunkt der Kopf aufgehängt sein
unten sinkt das qi in des Dan Tian
hebe den Rücken und halte die Brust zurück
lasse die Schultern fallen und senke die Ellbogen
Ist das Steißbein von selbst zentriert und aufrecht,
dann löst sich der Körper und das Qi galoppiert.
Benutze die Vorstellung, benutze nicht die Kraft,
das Wenden der Hüfte läßt den Körper drehen
im Ursprung steigt das Qi von den Füßen hinauf....
….. all dies beruht auf Herz und Vorstellung, von grober Kraft kann keine Rede sein
Li Yi-Yu(2)
Zum besseren Verständnis muss man sich mit der inneren Qualität von Taiji auseinandersetzen:
Ein wichtiges Charakteristikum der Inneren Kampfkünste (neijiaquan内家拳) ist die Entwicklung sog. innerer Spannkraft, im Taiji insbesondere die Entwicklung der „Seidenspulenden Kraft“ (Chansijin缠丝劲).
Um Taijiquan auszuüben, muss man die seidenwickelnde Jin-Kraft verstehen.
Seidenwickeln ist eine Technik zur Führung des Zentral-Qi...
Chen Xin(3)
Im Gegensatz zum „harten“, rein muskulärenKrafteinsatz (Li力) der sog. Äußeren Kampfkünste, muss sich der Taiji-Körper im Zustand gelöster Natürlichkeit (fangsong) befinden, in dem er als entspannt-verbundene Einheit fliessend bewegt werden kann, strukturiert, zentriert und verwurzelt, so dass Muskelkraft durch innere Kraft ergänzt wird.
Aus rein äußerer Focussierung entsteht gemäß dem Yin-Yang阴阳-Prinzip allmählich ein Gleichgewicht zwischen innen und aussen, Ruhe und Bewegung, hart und weich....
….dann treten oben und unten, außen und innen,
unschwer miteinander in Verbindung,
bis man das Aufgelöste zu einer Ganzheit zusammenfügt...
Chen Chang Xin(4)
Um die Tragweite von Fangsong („Lösen und Sinken“, „die Mitte finden“, „leer und still werden“...) zu begreifen, ist es erforderlich, den kulturellen Hintergrund der chinesischen Kampfkunst zu beleuchten:
Taijiquan
tai 太 = größer als, groß
ji 极 = Firstbalken, höchste Größe
quan拳 = Faust
Im Westen bedeutet Kampfkunst oft rein körperliche Schulung, ohne dabei an die Kultivierung der ganzen Persönlichkeit zu denken; tatsächlich stand der Begriff „quan“ = Faust auch für die Kampfkunst, mit der man im weiteren Sinne auch die Entwicklung von Lebenskraft, Persönlichkeitserziehung, kultureller- und Selbstentfaltung verband.
Gegensätzlich zu unserer westlich-separierenden Sichtweise, die weitreichende Zusammenhänge oft übergeht, flossen in China die Philosophien von Taoismus, TCM, Laozi (老子,道德经), Konfuzianismus, Buddhismus ineinander und ergänzen sich gegenseitig zu einer „ganzheitlichen“ Weltanschauung- miteinbezogen auch Heil- und Kampfkunst, da körperliche Auseinandersetzungen und kriegerische Handlungen häufig vorkamen.
Taijiquan enthält all diese Komponenten; Fangsong kann als dessen Grundlage betrachtet werden, wobei die verschiedenen Ebenen in Wechselwirkung stehen und sich gegenseitig bedingen:
körperlich: Der Köper wird bewusster wahrgenommen, Verspannungen werden gelöst. Körperstruktur (5)und Verwurzelung werden entwickelt, Gelenke geöffnet, der Atem beruhigt und Qi und Körperschwerpunkt ins Dantian(6) abgesenkt =Qichendantien气沉丹田 (7)
seelisch und mental: Man lässt innere Antreiber, belastende Gedanken und Emotionen, insbesondere Ungeduld, Ängste und versteckte Aggressionen wegfließen und sich auflösen, befreiend „weite“ Klarheit und „Leere“ entstehen.
Beides ist Voraussetzung, dass das Qi im Körper zirkulieren kann, zugleich werden Widerstände aufgelöst, die eine reibungslose, fließende, natürliche Bewegung behindern- Ein wohltuender Erholungseffekt entsteht, aus dem heraus sich das Potential für weitere Entwicklung ergibt –
„Wenn Du Dein Yi entfaltest, wird Dein Qi fließen
und Deine Meridiane werden frei von Blockaden sein“-
oder auch
„wo Yi sich entfaltet, folgt das Qi von selbst.“
以意行气,以气行力。(24)
Um sich in die eigene Mitte (Dantian) zu vertiefen und das Qi fliessen zu lassen, gebraucht man „Yi意“:Potential von Intention und Imagination, geistige Lenkung der Aufmerksamkeit, entspannter Focus/Konzentration;
Yi darf nicht verwechselt werden mit dem willentlichen Erzwingen-Wollen irgendwelcher Effekte! Will man den natürlichen Fluß durch direkte Konzentration aufs Qi erzwingen, blockiert man ihn!
„allgemein sagt man, dass das Qi nichts im Körper nicht erreicht
und seine Führung im Herzen liegt...
sobald sich die Kraft des Herzens bewegt (xin-ji), folgt der Wille von selbst dem,
worauf sich das Herz richtet....“
Chen Xin (8)
Yi soll also nicht das Qi beherrschen, sondern von shen 神 (9)geleitet sein.
„Der Faustschlag entsteht in der Intention des Herzens (xin),
die Faust folgt der Imagination (yi) und entlädt sich nach aussen (fa)“
Chen Chang Xing(10)
Das Zusammenspiel von yi, qi und shen schafft einen "ekstatischen" Zustand, der unser Wesen auf allen Ebenen reguliert (24)– und neben der seidenspulenden Urkraft auch den tiefen Entspannungseffekt im Taijiquan bewirkt .
Weiteren Aufschluß geben folgende Komponenten des traditionellen Schriftzeichens Fangsong: 放鬆
Fang:放 freilassen, loslassen
Song: 鬆 lose, locker…
Darin enthalten髟(biao)= lange, natürlich herabfliessende Haare: Diese fließen natürlich herab wie Wasser und erinnern an das früher traditionell lange, offene Haar.
So natürlich entspannt soll auch der Übende seinen Körper loslassen und sinken, sich zentrieren und verwurzeln, oben leicht und frei, unten fest und stark....
Das Zeichen für Pinie松 im fonetischen Teil des modernen Schriftzeichens paßt dazu ideal und könnte auf flexible Standhaftigkeit und Verbindung von Himmel und Erde hinweisen.
Hier werden Parallelen von Mensch und Natur erkennbar, die durch das Prinzip von Yin und Yangerläutert werden:
Yin und Yang 阴阳,
(trad. 陰陽)
Chen Xin spricht in seinem Kanon von den 3 Kräften (11) Himmel/ yang, Mensch/ halb yin, halb yang und Erde (yin).
Der Mensch steht mit seinen Füßen auf der Erde, während der Scheitel zum Himmel aufragt. Wie der Baum ist auch der Mensch ein Bindeglied zwischen Himmel und Erde.
Früher war die Beobachtung und Anpassung an die Natur für die Menschen überlebenswichtig. Die Erkenntnis der zyklischen Kreisläufe der Natur, die wellenförmige Dynamik des Atems der Natur, das Prinzip steter Wandlung brachten die Philosophie von Yin und Yang hervor. Das darauf basierende Naturprinzip ist Hintergrund der taoistischen Philosophie und hilft, die tiefere Qualität des Taijiquan zu verstehen:
Yang trad.陽: Das traditionelle Schriftzeichen zeigt die Sonnenseite eines Berges,
das Moderne阳 die Sonne
Yin trad.陰: die Schattenseite des Berges, modern阴: der Mond
Die Interaktion scheinbar widersprüchlicher Gegensätze, die sich durch stetigen Wandel gegenseitig bedingen/hervorbringen, offenbart eine harmonische, perfekt aufeinander abgestimmte, große Einheit. Die Prinzipien des Kosmos zeigen sich in der Natur wie im Menschen. Das Spiralprinzip findet man im Universum genauso, wie in jungen Pflanzentrieben oder der Erbinformation des Menschen.
Diese ursprüngliche, unbändige, urspiralige, zyklische Kraft lenkt alle Lebensprozesse und manifestiert sich im Kosmos in kleinen, wie in großen Phänomenen. Laut Chen Xin reflektieren Himmel und Erde die Natur einer Myriade Dinge zwischen ihnen, der unbegrenzten Möglichkeiten (12).
Generell sind dem Prinzip Yang zugeordnet u.a. die Sonne, der Süden, der Tag, Bewegung, Fülle, das Klare, Ausdehnen, Wärme, das Männliche,
während dem Yin der Mond, der Norden, die Nacht, die Ruhe, Leere, das Trübe, das Zusammenziehen/Aufnehmen, Kühle und das Weibliche zugeordnet sind.
Das Dao gebiert den Beginn
Eins gebiert Yin und Yang
Yin und Yang gebären den Atem dazwischen...
die Mischung von klar und trüb
Diese drei Atemkräfte teilen sich in Himmel, Erde, Mensch
und gebären zusammen die 10.000 Dinge...(13)
Aus der Interaktion von Yin und Yang ergeben sich also unzählige Möglichkeiten, aus denen praktsch alles entstehen kann.
Der Atem dazwischen, die „Vitalsubstanz der Natur“ steht für das Qi( vgl. „Odem, Lebensatem“/ auch „nachgeburtliche Energie“ (14)), welches genau im Moment der Polarisierung zwischen Ruhe und Bewegung, Zeit und Raum oder klar und trüb (...etc) entsteht und sich in Wellen/Spiralen entfaltet.
Durch die Interaktion von yin und yang wird auch „shen(9)“ aktiviert.
Ausserdem resultieren daraus das Prinzip des Bagua (8 Trigramme), sowie die Philosophie der 5 Wandlungsphasen, die sich an den vorrangigen Elementen (vgl. Organsystem unseres Körpers) orientiert, durch die die Zyklen unserer Natur in Balance gehalten werden.
Eine besondere Rolle spielt das Wasser, da es quasi eine materiell verdichtete Form von Qi darstellt und zugleich Grundlage für alles Lebendige ist.
Qi-Phänomene im Körper erinnern an Wasser in seinen verschiedenen Zuständen, da Wasser durch Verdunstung und Niederschlag einem ständigen zyklischen Kreislauf zwischen Himmel und Erde und somit auch in seiner Form - zwischen Dampf und Flüssigkeit - stetem Wandel unterliegt.
Vom extremem Yang- materiell verdichtet, erhitzt- zum formlos-trüben Dampf, yin- in jedem Extrem entsteht bereits sein Gegenteil, die Wandlung (15)
Wasser (materiell) fließt, sinkt, füllt alles aus, ist weich und dennoch kraftvoll. Widerstände umfließt es flexibel und bahnt sich seinen Weg. In Bewegung setzt es sich in Wellen, bzw. spiralig (Strudel) fort.
An sich natürlich-weich, repräsentiert es schöpferische Dunkelheit, den Norden und den Mond und entspricht äusserlich dem weiblichen Prinzip Yin.
Doch in seinem Zentrum ist es verdichtet und birgt gewaltige Kraft und Härte, die dem Yang-Prinzip entspricht.
Wasser ist deshalb „waiyin, neiyang“ (=äußerlich yin, innen yang), d.h. aus extremer Elastizität keimt äußerste Härte.
Fangsong und Prinzipien im Körper
Auch der Taiji-Körper soll aussen weich und nachgiebig, innen von extremer Härte und Kraft sein - wie „Stahl, gewickelt in Baumwolle“.
So kann Aktion aus der Entspannung entstehen, aus größter Weichheit maximale Härte (Schlagkraft) und aus extremer Langsamkeit explosive Schnelligkeit- scheinbare Gegensätze ergänzen und bedingen einander-
denn Taiji ist weder Yin, noch Yang, sondern es ist Yin und Yang im natürlichen Wechsel.
“We must understand and train in line with Taijiquan's principles and philosophy. For example if we are to develop effective fajin we should first learn to "fang song" or loosen our body. Taijiquan's unique brand of looseness allows us to use strength effectively.“
GM Chen Zhenglei (16)
Der Taiji-Praktizierende schafft die Voraussetzungen für die Entwicklung von zirkulierendem Qi, Spiralkraft und explosiver Härte, indem er zunächst seinen „ruhenden Yin-Körper“, kultiviert, um darin pures Yang zu bilden, im Dantian zu speichern und schließlich freizusetzen.
Fangsong in Verbindung mit Struktur und Prinzipien ist Voraussetzung, dass innere Spiralkraft entstehen kann (yang).Der Praktizierende muß lernen, sie zu entfalten und zu pflegen:
„Die Jin-Kraft geht von den Hacken aus, überwindet die Waden, die Wirbelsäule entlang steigt sie auf, durchdringend erreicht sie Schultern und Arme.....
Obwohl die Jin-Kraft von den Fersen ihren Ursprung nimmt, liegt die Wurzel ihrer Anwendung im Herzen,
Sobald sich ein Gedanke regt, wird das Zentral-Qi (Zhong Qi) vom Dantien zu den Händen ausgesendet“
Chen Xin (17)
Idealerweise übt man zunächst in der Stehenden Säule (Zhan Zhuang), bevor man lernt, diese Anforderungen auch in der Bewegung aufrecht zu erhalten:
头顶悬,虚领顶劲,头顶之竖:der Scheitel aufgerichtet/ voll, der Nacken leer
松肩沉肘:Schultern gelöst, Ellbogen gesunken
含胸塌腰:Brustbein „gefaltet“/ weich, Taille gesunken/ Mingmen geöffnet
曲膝松髋: Hüfte und Knie gelöst/geöffnet
(18)
Man fühlt in den Körper, beruhigt Herz und Atem,der Geist wird offen und leer. Alle Anspannung schmilzt, alles „Schwere“ im Körper fliesst nach unten (vgl. Wasser), die Gelenke werden geöffnet, das Steißbein gelöst. Durch Aufrichtung des Scheitels (Yang- Himmel- vgl. Südpol) und Verwurzelung (Yin-Erde-Nordpol mittels Füßen und Perineum/Hui-Yin) entsteht eine senkrechte Achse (19), das Qi fließt ins Dantian und „alles Leichte steigt nach oben“ (vgl. Wasserdampf).
„man muß sowohl leicht als auch gesunken sein, leer und voll, öffnen und schließen, schnell und langsam wechseln sich ab und zusammen mit der Spiralkraft
müssen alle in Beziehung zueinander stehen.“
Chen Zhaokui (20)
In diesem natürlichen Zustand, der an kindlich-unbeschwertes Körpergefühl erinnert, werden Prinzipien und Zusammenschlüsse auf natürliche Weise aufrecht erhalten, entsteht Einheit durch Auflösung, kommt es zu natürlicher Interaktion zwischen Yin und Yang; so kann das Qi fliessen.
Die Bewegung des Körpers entspringt einheitlich dem Dan Tian. Nur die Muskulatur, die für die entsprechende Bewegung tatsächlich benötigt wird, ist aktiv. Füsse, Beine, Taille, Wirbelsäule, Schultern und Arme, Ellbogen und Hand, natürliches inneres und äusseres Öffnen und Schliessen, wirken genauso als Einheit zusammen, wie Yi, Qi und Li. So kann sich die Spiralkraft entfalten.
Ein Mensch praktiziert nur dann tatsächliches Taiji, wenn er sich so natürlich wie möglich bewegt, denn Taiji an sich steht für die schöpferische Kraft der Natur und des Kosmos...
...Wenn diese schöpferische Urkraft greifbar wird, wird sie die innere Bewegung lenken, welche wiederum die äussere Bewegung lenkt.
Feng Zhiqiang(21)
„Yi und Qi sind Herrscher, Knochen und Fleisch Beamte“
(Li Yi-Yu) (22)
Gutes Taiji ist kein verkrampft-erzwungenes, gekünsteltes oder geschauspieltertes Taijiquan:
Taiji ist nur gut, wenn die Eigendynamik dieses Ur-Qi (Urkraft) spürbar wird, welches äußerlich durch seine Geschmeidigkeit und Eleganz erkennbar wird.
Nun kann sich eines der faszinierendsten Phänomene des Taiji entfalten: wenn durch korrekte Körperausrichtung Bewegung im Inneren entsteht und anfängt, die äußeren Bewegungen zu lenken- und den Übenden so durch die Bewegungen leitet.
Worin wir erkennen, dass Fangsong als elementare Grundlage des Taijiquan für den Anfänger, der für die Entwicklung von Struktur und körperlichem Bewegungspotential zunächst lernen muss, in Ruhe und Entspannung zu finden, genauso bedeutend ist wie für den Erfahrenen, für den Fangsong den Schlüssel für die Entfaltung innerer Kraft und kämpferischer Qalitäten bedeutet.
Trainiert man auf diese Weise, ist Taiji einerseits entspannend und heilsam; zum anderen kann sich Taiji in seiner Essenz als Kampfkunst auch nur aus diesem gelösten Zustand heraus tatsächlich als lebendiges Grundprinzip der allumfassenden grossen Natur (daziran 大自然) manifestieren(23)
Begriffserklärungen und Ergänzungen:
Sprichwort der Chenfamilie- Artikel „Inside Kung Fu“ Bosco Baek/Chen Bing-http://www.chenbing.org/files/Finding%20Fangsong.pdf
Taijiquan R. Landmann S. 104: Li Yi-Yu Taijiquan ti yong ge
Chen Xin Kap. 44 S. 110 http://de.scribd.com/doc/22501334/Illustrated-Canon-of-Chen-Family-Taijiquan-by-CHEN-XIN
Taijiquan R. Landmann S.112: Chen Chang Xin Taijiquan shi da lao yun
Jan Silberstorff „Chen“ S 75: Körperstruktur (Wai San He, nei san he外三合,内三合)die je drei inneren und äusseren Harmonien, auch Zusammenschlüsse genannt, die für prinzipiengetreues Taiji und korrekte Struktur erforderlich sind. Nur so kann der Körper einerseits entspannt, andererseits aber als kraftvolle Einheit agieren. Wai san he- die drei äußeren Harmonien:Jian Yu Kua He Schultern und Hüften verbinden sich -Zhou Yu Xi He Ellbogen und Knie verbinden sich - Shou Yu Zhu He Hand- und Fußgelenke verbinden sich; Nei san he- die drei inneren Harmonien: Jin Yu Gu He die Sehnen verbinden sich mit den Knochen - Xin Yu Yi He das Herz verbindet sich mit der Aufmerksamkeit - Qi Yu Li He die Energie verbindet sich mit der Kraft (Buch Jan Silberstorff /Chen)
Qichendantien气沉丹田, das „Absenken von Qi und Schwerpunkt ins Dantien“ mittels Yi,- beides steht wiederum miteinander in unverzichtbarer Wechselwirkung (Fangsong schafft Zentrierung „he“合1) und kann nur stattfinden, wenn der Mensch Anspannung, Ehrgeiz und belastende Gedanken, welche den Focus und somit das Qi in Kopf und Oberkörper festhalten, loszulassen gelernt hat. Artikel „Inside Kung Fu“ Bosco Baek/Chen Bing-http://www.chenbing.org/files/Finding%20Fangsong.pdf
Dantian丹田: das sog. Nabelzentrum oder auch untere Elixierfeld, das als Mitte des Körpers bezeichnet wird, ca 4 fingerbreit unter dem Bauchnabel. Es ist ein Energiezentrum, das auch als Speicher dient, in dem sich das Qi气 sammelt, von dem ausgehend es durch den Körper zirkuliert.气力归于丹田,气力聚于丹田。气力出于丹田,气力发于丹田。
Rainer Landmann „Taijiquan“, S 117: Chen Xin, Chenshi Taijiquan Tushou S.138
Shen神: Herzgeist, seelisches Potential, spituelle Substanz /Chen Xin Kap.35/S89 und Kap 23/S 52 u. S 5 (incl. Spiritualität, Individualität- Unterschied zu anderen Lebensformen) http://de.scribd.com/doc/22501334/Illustrated-Canon-of-Chen-Family-Taijiquan-by-CHEN-XIN und Luc Theler, zu den Quellen des Taijiquan S.78
Luc Theler „zu den Quellen des Taijiquan“ S. 55: Chen Chang Xin, taijiquan shi da yao lun
Chen Chang Xin, Chenstil-Netzwerk Deutschland/HP , Rubrik „Wissen“, Das Seidenspulen und die Taijiquan-Klassiker der Qing-Dynastie, www.ctnd.de
Canon Chen Xin, Kap. San Cai/ 28 & Kap 35, http://de.scribd.com/doc/22501334/Illustrated-Canon-of-Chen-Family-Taijiquan-by-CHEN-XIN
Luc Theler- „Zu den Quellen des Taijiquan“ S.92: Ho-Shang- Kung, Kommentar zum Daodejing
Chen Xin Canon Kap.29/ S. 71,http://de.scribd.com/doc/22501334/Illustrated-Canon-of-Chen-Family-Taijiquan-by-CHEN-XIN
vgl Chen Xin`s Canon Kap. 30, http://de.scribd.com/doc/22501334/Illustrated-Canon-of-Chen-Family-Taijiquan-by-CHEN-XIN
GM Chen Zhenglei, Interview mit David Gaffney- http://chentaijiquanworld.blogspot.co.uk/ (Artikel 3 correct and 3 incorrect ways to train)
Taijiquan R. Landmann S. 149: Chen Xin
Buch von Chen Xiaowang 世傳太極拳(1984)
vgl Chen Xins Canon, Kap 35/ S.88 http://de.scribd.com/doc/22501334/Illustrated-Canon-of-Chen-Family-Taijiquan-by-CHEN-XIN
Zitat Chen Zhaokui laut Ma Hong (Chenstil-Netzwerk Deutschland www.ctnd.de, Wissen/ Training bei Chen Zhaokui)
Interview Feng Zhiqiang mit Luc Theler, Peking („Zu den Quellen des Taijiquan S.66 ff)
Rainer Landmann, „Taijiquan“ S105: Li Yi Yu, Shen Qi yun xing ge
Luc Theler „Zu den Quellen des Taijiquan“ S. 70
Luc Theler „zu den Quellen des Taijiquan“ S. 77