TAIJI lernen- am besten gleich richtig!

oder: aller Anfang ist schwer ;-)

in China ist Taiji ein Breitensport für Jung und Alt: hier GM Chen Zhenglei mit einer Gruppe von Schülern und Lehrern
in China ist Taiji ein Breitensport für Jung und Alt: hier GM Chen Zhenglei mit einer Gruppe von Schülern und Lehrern

Taiji- ein bißchen Form laufen, so schön leicht und anmutig- und so gesund.... ?

 

Warum aber behandeln wir gewisse Bereiche im Unterricht und sogar ergänzenden Kursen so eingehend, obwohl es auf den ersten Eindruck wenig zu tun hat mit dem gewünschten Formenlaufen, welches von der Kassen und Medien oft als entspannende Gesundheitsgymnastik vermarktet wird, nehmen Sie 10 Stunden und schon können Sie zuhause sinnvoll weiterüben?

 

Wozu haben wir ergänzende Vertiefungsseminare in verschiedenen Modulen, die den praktischen Unterricht in Theorie und Philosophie begleiten?

 

Leider fühlt Taiji sich am Anfang noch gar nicht leicht an und schon gar nicht einfach...... sogar die einfachste Körperkoordination braucht eine Weile, bis sie fließt und sich tatsächlich nach Taiji aussieht.....

 

 

Letztendlich erreicht man richtiges Taiji  nur durch richtige Anleitung; fehlt diese, führt man zwar recht ähnliche Bewegungen aus, die in ihrer Wirkung jedoch "gedeckelt" sind und dadurch keinen wirklichen Nutzen entfalten können, jedenfalls nicht so breit und tiefgreifend, wie dies bei korrektem Taiji der Fall ist-

und somit auch nicht nützlicher, als irgendeine andere Bewegung....

 

 

Was also ist das "Geheimnis"?

Taiji entstand ja in China in einer anderen Zeit und Kultur. Die chinesische Weltanschauung ist stark geprägt vom Taoistischen Weltbild, auch von den Lehren von Laozi und Konfuzius, außerdem auch noch vom Buddhismus und einigen anderen Strömungen.

 

Es gab ferner die kaiserlichen Regierungen und das Volk, welches nicht in demokratischen Verhältnissen lebte. Die Denk- und Lebensweise der Menschen war komplett anders, es war wichtig, mit und nicht gegen die Natur zu leben und sich gesundheitlich selbst helfen zu können, da Krankenhäuser oft unerreichbar weit weg waren. Am besten, man wurde gar nicht erst krank! Außerdem mußte man Haus und Hof verteidigen können.

 

Unter diesen Gesichtspunkten wurde Taiji als ganzheitliche Kampfkunst entwickelt- kampfstark, aber mit geringen Verletzungsrisiko durch ausgeklügelte Übungssysteme; gesundheitsfördernd und körperlich kräftigend; meditativ, um Gelassenheit und Nervenstärke zu entwickeln und zugleich den eigenen Charakter zu kultivieren- um nur einige wesentliche Merkmale zu nennen.

 

Im Taoismus basiert  alles auf dem Konzept von Yin und Yang, welches ein harmonisches Zusammenspiel sich abwechselnder Gegensätze bedeutet, wodurch Fluß, Wachstum und Fortbestand gesichert ist, welches jedoch in seinem steten Fluß und Wandel auch Anfang/ Geburt und Tod/Ende beinhaltet, damit etwas Neues entstehen kann. Im Kosmos, wie auf der Erde und auch im Menschen.

 

Darüber hinaus ist das System der Chinesischen Medizin mit seinem Meridiansystem und der Bestrebung, durch die Erhaltung der Balance Krankheit gar nicht erst entstehen zu lassen, ein anderes, als unseres, das sich mit Krankheit erst befaßt, wenn die Gesundheit schwindet und dann meist nur Symptombekämpfung beinhaltet, jedoch nicht die Änderung des Lebensstils und der Lebensgewohnheiten, um präventiv belastende Einflüsse auszuschalten und die Gesundheit seelischer und körperlicher Art zu fördern...

 

Es gäbe noch viel mehr zu schreiben, jedoch ist das vorerst nicht wesentlich für unseren Unterricht.

 

Es ist jedoch gut zu wissen, daß Taiji einer anderen Weltanschauung entsprang, einem wesentlich gesamtheitlicheren Bild, welches nicht- wie bei uns- stark trennend und separirend wirkt, sondern in dem wechselseitige Wirkung und Beeinflussung normal ist und als solche entspannt erlebt und benutzt wird.

 

Taiji ist eine sog. "Innere Kampfkunst", bei der es nicht nur auf Muskelkraft ankommt, sondern zu einem wesentlichen Teil auf die Entwicklung innerer Kraft, die unsere Muskelkraft ergänzt und unterstützt.

Hierfür muß man jedoch auch im Inneren arbeiten- wenn ich immer nur außen am Rand eines Schwimmbeckens stehen bleibe, erfahre ich ja auch nicht, wie es ist, im Wasser zu schwimmen....

 

Deshalb versuche ich, meinen Schülern auch Zugang zu den körperlich-medizinischen Grundlagen im Innen und Aussen (anfangs gewissen Akupressurpunkten, Einblick ins Meridiansystem, Erleben bewusster entspannender Prozesse für Körper und Geist, meditative Versenkung uva.) und zur chinesischen Philosophie zu ermöglichen, wordurch sie eine gute Grundlage erhalten, um die darauf aufbauenden, spezifischen Taiji-Übungen sinnvoll und mit dem richtigen Verständnis ausführen zu können.

 

Speziell am Anfang sind die Körper verspannt, voller unbewußter muskulärer und mentaler Anspannung, nicht in der Lage, tief und bewußt zu ent-spannen und loszulassen.... da diese Entspannung (chin: Fangsong- eines der Schriftzeichen darinbedeutet auch "Befreiung") und die Verbesserung unserer Körperwahrnehmung aber essentielle Grundlage ist für jegliche Entwicklung im Taiji, ist ein wichtiger Teil unseres Curriculums die meditative Körperarbeit.

 

Hinzu kommen noch weitere Grundlagen- und Bewegungsübungen, um auf möglichst einfache Weise Körperstruktur und inneren Energiefluß zu entwickeln und uns auf kompliziertere Bewegungszusammenhänge im Innen und Außen vorzubereiten- quasi wie ein Schlüssel, der uns die Tür zu komplexeren Zusammenhängen öffnen kann.

 

 

Denn wir brauchen unsere körperliche und mentale Entspannung, genau wie die stabile Körperstruktur, tiefe, entspannte Atmung und den richtigen Focus ("Yi"), um die Form richtig laufen zu können und deren Bewegungen korrekt ausführen zu können- und um dadurch gesundheitliche, wie auch (später) kämpferische Qualitäten entfalten und erleben zu können.

 

Wir werden weggeführt von westlicher "Fast-Food-Mentalität", weg vom Focus auf rein äußere Merkmale hin zu einer ganzheitlicheren Wahrnehmung und Ausführung.

Der vom Ego erwünschte schnelle Erfolg, um Bewunderung unserer Freunde für unser Können zu erhalten, wird plötzlich unbedeutend angesichts des umfassenden und tiefgreifenden "Schatzes", der sich uns bei richtiger mentaler und körperlicher Übungspraxis offenbart.

Innere Antreiber werden entlassen, wir können loslassen und entspannt unsere Übungen genießen, werden dabei auch im Alltag ausgeglichener und streßresistenter, ruhen mehr in uns selbst und werden unabhängiger von äußerer Bestätigung.

 

 

Ich vergleiche Taiji zwar  gerne mit einer Sprache, bei der Rechtschreibung und Grammatik erlernt werden müssen, bevor es an den einfachen Satzbau und schließlich an Poesie und Prosa geht, aber die Anfänge würde ich lieber mit einem Lied vergleichen:

 

Ist es ein schwierigens Lied (und ja, das ist es ;-)  ), dann brauchen wir eine geübte Stimme, um die Töne zu treffen, Takt und Rhytmus zu halten.... nicht heiser zu werden.... genügend Luft zu haben, nicht zu pressen und dadurch die Stimmbänder zu strapazieren....usw....

 

Gewisse Stimmübungen sind also nötig, ebenso, wie Atmung und Rhythmus, um das Lied tatsächlich singen zu können.... auch wenn Laien-Zuhörer vielleicht nicht einmal merken, wenn ein Ton schräg oder der Takt falsch ausgeführt wird....

 

 

So ähnlich verhält es sich auch mit dem Taiji- es wurde leider von ungeduldigen und geschäftstüchtigen Anbietern arg gebeutelt, vereinfacht, zum Teil "beschädigt" und wird unter völlig falschen Gesichtspunkten vermarktet-

aber das, was weitgehend angeboten wird, ist dann auch kein richtiges Taiji mehr und seiner großartigen Wirkung- sowohl als ganzheitliche Gesundheitspflege (körperlich, mental, seelisch), als auch als effektive, weiche, spiralige, innere Kampfkunst mit hervorragenden Selbstverteidigungs-Qualitäten- weitgehend beraubt.

 

Was bleibt ist oft nur ein recht einseitiges, "leeres" und oft wenig korrektes Formenlaufen, esotherisch vermarktete Gymnastik, die zwar immer noch wesentlich sinnvoller ist, als nur auf dem Sofa zu sitzen, eigentlich aber nicht mehr Taiji genannt werden sollte, weil - um es einfach und gut vermarktbar zu machen- die eigentliche Essenz und das tragende Fundament heraus reduziert wurden.....

 

 

Ich schreibe das recht deutlich, um meinen Schülern aufzuzeigen, daß sie letztendlich zügiger und besser vorankommen- und vor allem in ihrer Entwicklung nach oben nicht gedeckelt sind- wenn sie sich mit entspannter Geduld auf das Abenteuer der umfassenden inneren und motorischen Körperarbeit einlassen- 

 

denn ein stabiles Fundament bei entsprechend korrekter Bewegungskoordination braucht zwar etwas länger, ist nun einmal aber nötig, um auch ein tragfestes Fundament errichten zu können-

welches dann auch problemlosstarke Mauern, ein kunstvolles Dach und irgendwann sogar schmückenden Fassadenputz tragen können-

 

während die tollsten Ornamente und Schnörkel sinnlos sind, wenn sie nicht von einer haltbaren Struktur präsentiert werden können!

 

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen viel Freude, Entspannung und Erfolg bei Eurem Training und gute und erfolgreiche Entwicklung!

 

Alfie Schütz